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HelmutHubacher

15.4.1926 Krauchthal, 19.8.2020 Pruntrut, reformiert, von Krauchthal und Basel. Gewerkschaftsfunktionär, Publizist, Nationalrat des Kantons Basel-Stadt und Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz.

Helmut Hubacher, um 1975. Porträtfotografie von Walter Rutishauser, Bern (Bibliothek am Guisanplatz, Bern, Portraitsammlung Rutishauser).
Helmut Hubacher, um 1975. Porträtfotografie von Walter Rutishauser, Bern (Bibliothek am Guisanplatz, Bern, Portraitsammlung Rutishauser).

Helmut Hubacher war der Sohn des Hans Hubacher, Kaufmanns, und der Emili geborene Kolb. Nach der frühen Scheidung der Eltern wuchs er ab 1929 bei den Grosseltern in Zollikofen auf; sein Grossvater arbeitete dort als Vorarbeiter. Nach den obligatorischen Schulen besuchte Hubacher die Verkehrsschule in Biel, von der er nach einem Konflikt mit einem Lehrer ohne Abschluss verwiesen wurde. Ab 1944 machte er eine Lehre als Stationsbeamter bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), was alle paar Monate einen Ortswechsel mit sich brachte. Erst an seiner achten Station in Basel konnte Hubacher ab 1946 für längere Zeit bleiben. Anschliessend versah er seinen Dienst auf dem Basler Güterbahnhof Wolf. 1949 heiratete Hubacher Gret (Margrit) Hungerbühler, Tochter des Walter Hungerbühler, Gütervorarbeiters bei den SBB und Gewerkschaftssekretärs. Das Paar hatte drei Kinder.

In Basel trat Hubacher 1946 den Jungsozialisten und 1947 der Sozialdemokratischen Partei (SP) bei. In der überalterten Sektion St. Alban Breite übernahm er sofort als Vorstandsmitglied das Protokoll. Schon 1944 hatte er sich dem Stationspersonalverband des Schweizerischen Eisenbahnerverbands (SEV) angeschlossen; 1950-1953 amtierte er als dessen Präsident. Dann verliess er die SBB und wurde hauptamtlicher Funktionär im Gewerkschaftsamt des SEV. Dort blieb er aber nur kurz, denn bereits Ende 1953 berief ihn die in einer schweren Krise steckende Sektion Basel des Schweizerischen Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) als Sekretär, ein Amt, das er bis 1963 bekleidete. In den 1950er Jahren verfolgten die führenden Kräfte der SP in Basel einen strikt antikommunistischen Kurs, um sich von der Partei der Arbeit (PdA) abzugrenzen, die damals in der Stadt Basel vergleichsweise viele Anhänger zählte. Als diese Kräfte sogar ein Berufsverbot für Kommunisten verlangten, eskalierte der Konflikt des Basler VPOD mit der nationalen Gewerkschaftsführung. Hubacher musste als junger Sekretär immer wieder die Basler Linie verteidigen, mit der er aber unterlag.

Diskussion mit Helmut Hubacher und Richard Müller zum Zustand der Sozialdemokratischen Partei im CH-Magazin des Fernsehens der deutschen Schweiz vom 26. April 1977 (Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich, Play SRF).
Diskussion mit Helmut Hubacher und Richard Müller zum Zustand der Sozialdemokratischen Partei im CH-Magazin des Fernsehens der deutschen Schweiz vom 26. April 1977 (Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich, Play SRF). […]

Helmut Hubacher wurde 1956 in den Grossen Rat der Stadt Basel gewählt, dem er bis 1968 angehörte. Bei den Nationalratswahlen 1959 erreichte er hinter den bisherigen Mandatsinhabern den Platz als erster Nachrückender (Bundesversammlung). Wegen eines Todesfalls zog er am Ende der Amtsperiode 1963 noch für eine Session in den Rat ein. Im gleichen Jahr verteidigte er bei den Nationalratswahlen seinen Sitz; er verblieb bis 1997 im Nationalrat, den er 1991 und 1995 als Alterspräsident eröffnete. Das Mandat in Bern liess sich mit der Funktion als VPOD-Sekretär nicht mehr vereinbaren, weshalb er 1963 die Chefredaktion der Basler Arbeiter-Zeitung übernahm. Diese schloss sich 1970 mit anderen Blättern zum nur zwei Jahre bestehenden schweizerischen AZ-Ring mit Zentralredaktion in Zürich zusammen. Auch dort amtierte er als Chefredaktor. Er versuchte einen Ausgleich zwischen der älteren, hochintegrierten Mitgliedschaft der SP und den Anhängern der neuen alternativen Bewegungen der späten 1960er Jahre zu finden (zum Beispiel in der Ausländerfrage). Wegen seiner Recherchen geriet er in Konflikt mit Teilen der Basler Oberschicht, so als er bereits vor dem Absturz einer Chartermaschine auf Zypern 1967 die mangelhafte Sicherheit der Billigfluggesellschaft Globe Air kritisierte oder als er 1967-1968 den fehlenden Eifer der Staatsanwaltschaft bei der Untersuchung des Konkurses der Bank Arbitrex anprangerte, die viele Kleinsparer geschädigt hatte. Nach dem Scheitern des AZ-Rings 1972 wählte ihn der Basler Gewerkschaftsbund zum Sekretär, was er bis zu seiner Pensionierung 1991 blieb. In der sozialdemokratischen Fraktion des Nationalrats beanspruchten die politischen Schwergewichte die wichtigsten Dossiers, sodass dem jungen Neuling nur das Militär blieb. Dort stiess er auf schwerwiegende Missstände, denen er dank Informationen von kritischen Offizieren und sozialdemokratisch geführten Verteidigungsministerien im Ausland auf die Schliche kam. Erwähnt seien die mangelnde Kriegstauglichkeit des Panzers 68 oder der teure Misserfolg beim Funkgerät SE-225. Massive Überbezahlung konnte er mit Hilfe eines externen Gutachtens beim Kampfpanzer Leopard 2 oder mit einer privat eingeholten Offerte beim Armeeschlafsack nachweisen (Rüstung). 1970 versuchte die Armeejustiz vergeblich, Hubachers parlamentarische Immunität aufzuheben, weil dieser Mängel des Frühwarn-Radarsystems Florida aufgedeckt hatte.

Parteipräsident Helmut Hubacher am Sonderparteitag der SP Schweiz vom 12. Februar 1984 im Berner Kursaal (KEYSTONE, Bild 29150259).
Parteipräsident Helmut Hubacher am Sonderparteitag der SP Schweiz vom 12. Februar 1984 im Berner Kursaal (KEYSTONE, Bild 29150259). […]

Nach dem überraschenden Rücktritt seines Vorgängers Arthur Schmid wählte ihn der Parteitag 1975 zum Präsidenten der SP Schweiz. Unter seiner Leitung gewannen die neuen Mittelschichten auf Kosten der traditionellen Gewerkschafter in der Partei an Gewicht. Hubacher war solide verwurzelt im traditionellen Parteimilieu der Hochkonjunktur und andererseits offen genug, um einer neuen Generation, die aus dem gesellschaftlichen Umbruch der späten 1960er Jahre hervorging, den Beitritt zu ermöglichen. Auch für neue Themen, namentlich die Ökologie, sensibilisierte er die Partei, wobei ihm seine frühe Ablehnung von Atomkraftwerken half. In seiner bis 1990 dauernden Amtszeit wurden vor allem zwei Themen in der Presse breit diskutiert. 1982 besuchte er mit einer SP-Delegation – wie seine deutschen Parteigenossen Willy Brandt und Helmut Schmidt vor ihm – Erich Honecker in der DDR. Die Kritik an diesem Besuch begleitete ihn sein ganzes politisches Leben. 1983 schlug die SP als erste Partei eine Frau für den Bundesrat vor. Nachdem die bürgerliche Mehrheit im Parlament die Wahl Lilian Uchtenhagens verhindert und Otto Stich gewählt hatte, drohte die Parteileitung mit dem Rückzug aus dem Bundesrat und dem Gang in die Opposition. Sie unterlag damit allerdings am Parteitag. Hubacher hatte selbst 1976 in Basel ein ähnliches Schicksal erlitten, als er für den Regierungsrat kandidierte. In einer beispiellosen Schmutzkampagne war er von seinen Gegnern diskreditiert und an seiner Stelle mit Hansruedi Schmid ein anderer Sozialdemokrat gewählt worden, den die Bürgerlichen unterstützt hatten. Der Umbau der SP während seiner Amtszeit führte zu andauernden Konflikten, nicht zuletzt deshalb, weil die traditionelle Wählerschaft schneller wegbrach als die neue erschlossen werden konnte.

Nach seinem Rückzug aus der Tagespolitik 1997 verlegte er seinen Wohnsitz ins jurassische Courtemaîche. Von dort meldete er sich mit mehreren biografisch gefärbten Büchern, mit seiner Kolumne in der Basler Zeitung (BaZ) und zuletzt auch im Blick sowie mit zahlreichen Interviews immer wieder zu Wort. Am 27. Juni 2020 verabschiedete er sich mit seiner 1445. Kolumne mit dem Titel Das letzte Mal von seiner Leserschaft.

Helmut Hubacher war während eines halben Jahrhunderts mit seinen parlamentarischen Aktivitäten, seinen Zeitungsartikeln, Interviews und Büchern, seinen Funktionen in SP und Gewerkschaften und nicht zuletzt bei unzähligen Debatten in Sitzungszimmern, Sälen und elektronischen Medien eine gewichtige Stimme der schweizerischen Politik. Dabei schimmerte seine Ambivalenz – seine Verankerung in der traditionellen Sozialdemokratie der Hochkonjunktur und seine Offenheit für die neue politische Entwicklung – immer wieder durch.

Quellen und Literatur

  • Hubacher, Helmut: Aktenzeichen EMD. Notizen aus dem Bundeshaus, 1989.
  • Hubacher, Helmut: Tatort Bundeshaus, 1994.
  • Hubacher, Helmut: Wohlfahrt oder Talfahrt. Eine verunsicherte Schweiz, 1997.
  • Hubacher, Helmut: Das habe ich gerne gemacht. Politische und persönliche Erinnerungen, 2016.
  • Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, Nachlass Helmut Hubacher.
  • Herter, Martin:«Vollblut-Politiker mit seismographischen Fähigkeiten. Helmut Hubacher: ältester und amtsältester Nationalrat in der Schweiz», in: Traktandum Magazin, 1992/1, S. 29-35.
  • Der Bund, 20.8.2020 (Nachruf).
  • Neue Zürcher Zeitung, 20.8.2020 (Nachruf).
Weblinks
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GND
VIAF

Zitiervorschlag

Bernard Degen: "Hubacher, Helmut", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 02.06.2022. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/006791/2022-06-02/, konsultiert am 28.03.2024.