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Zeugdruck

Indiennedruckerei

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verbreitete sich in Westeuropa die Produktion farbiger Baumwollstoffe (Textilindustrie, Baumwolle). Anders als in Indien, wo die bunten Stoffe ursprünglich herkamen, wurden diese nicht mehr von Hand bemalt, sondern mittels Holzmodeln bedruckt. Dieses Herstellungsverfahren war schneller und kostengünstiger (Technischer Fortschritt), weshalb die sogenannten Indiennes zu einem Massenkonsumartikel wurden.

Ausschnitt eines Zeugdrucks, der Bernardin de Saint-Pierres Roman Paul et Virginie nacherzählt. Fabrikat aus der Manufaktur Petitpierre & Cie. in Nantes. Kupferplattendruck (150,5 cm breit), um 1795 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, LM-171599.1-2).
Ausschnitt eines Zeugdrucks, der Bernardin de Saint-Pierres Roman Paul et Virginie nacherzählt. Fabrikat aus der Manufaktur Petitpierre & Cie. in Nantes. Kupferplattendruck (150,5 cm breit), um 1795 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, LM-171599.1-2).

Die Widerrufung des Edikts von Nantes 1685 führte zur Übersiedlung zahlreicher französischer Indiennehändler und Drucktechniker sowie zum Zufluss von Kapital in die Schweiz, was sich auf die Zeugdruckereien günstig auswirkte (Technologie- und Wissenstransfer). Als 1686 die Herstellung und die Verarbeitung bemalter Stoffe in Frankreich verboten wurde, entwickelte sich ein ausgedehnter und lukrativer Schleichhandel. In Genf zählte man 1710 vier Manufakturen, darunter jene von Antoine Fazy, dessen Nachfahren über mehrere Generationen im Zeugdruck tätig waren. In den 1720er Jahren gab es in Genf bereits sieben Betriebe. 1720-1760 breitete sich der Zeugdruck entlang der französischen und der deutschen Grenze sowie in Neuenburg, Biel, Basel, im Aargau, in Zürich, im Thurgau und in Glarus aus; die südlichen Gebiete der Schweiz wie das Tessin blieben dagegen von dieser Entwicklung unberührt. Einen erneuten Aufschwung erfuhr der Gewerbezweig, als Frankreich 1759 seine Märkte öffnete. In den darauffolgenden drei Jahrzehnten erlebte der Schweizer Zeugdruck seinen Höhepunkt. Genf und Neuenburg besassen je um die zehn Fabriken und beschäftigten mindestens 2500 Arbeiterinnen und Arbeiter.

Zeugdruckmanufaktur von Jean-Jacques Deluze in Le Bied, zwischen Colombier und Areuse, am Ufer des Neuenburgersees. Ausschnitt aus einem Ölgemälde auf Leinwand, 1743 (Privatsammlung) © Fotografie Bibliothèque publique et universitaire de Neuchâtel.
Zeugdruckmanufaktur von Jean-Jacques Deluze in Le Bied, zwischen Colombier und Areuse, am Ufer des Neuenburgersees. Ausschnitt aus einem Ölgemälde auf Leinwand, 1743 (Privatsammlung) © Fotografie Bibliothèque publique et universitaire de Neuchâtel.

Ab 1790 brach die Schweizer Indienneindustrie absolut und noch stärker im Vergleich zu ihren ausländischen Konkurrenten ein. Durch Kriege, die Kontinentalsperre und vor allem den europäischen Protektionismus gingen Absatzmärkte verloren. In Genf zeigte die Branche ab den 1780er Jahren erste Auflösungserscheinungen und erholte sich bis in die 1820er Jahre nicht. In Neuenburg brach sie unter dem Empire ein und ging bis in die 1850er Jahre kontinuierlich zurück. Zürich besass zu diesem Zeitpunkt nur noch zwei bedeutende Manufakturen. Die Ende des 18. Jahrhunderts erfundene Walzendruckmaschine wurde wegen der schwindenden Absatzmöglichkeiten denn auch eher zögerlich eingeführt. Die Entwicklung der Glarner Indienneindustrie verlief demgegenüber atypisch. Sie spezialisierte sich auf die manuelle und bedeutenden Mehrwert schaffende Herstellung von Halstüchern, die im 19. Jahrhundert in Mode waren, und blühte ab den 1820er Jahren erneut auf. Um die Jahrhundertmitte stammten vier Fünftel der in der Schweiz produzierten Indiennes aus den rund 20 Glarner Manufakturen (1864 6250 Beschäftigte). Insgesamt verlor die Branche jedoch an Bedeutung und erlebte einen unaufhaltsamen Niedergang. 1840 betrug der Schweizer Anteil an der europäischen Indienneproduktion nur noch 4%.

Gouachezeichnungen in einer Entwurfs- und Warenmustersammlung für Zeugdruck der Fabrique-Neuve de Cortaillod, 1810-1820. Geschlossenes Etui: 33.2 x 23.6 x 6 cm (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
Gouachezeichnungen in einer Entwurfs- und Warenmustersammlung für Zeugdruck der Fabrique-Neuve de Cortaillod, 1810-1820. Geschlossenes Etui: 33.2 x 23.6 x 6 cm (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).

Die wirtschaftliche Bedeutung des Zeugdrucks, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sein goldenes Zeitalter erlebte, ist nicht zu unterschätzen. Das in Industrie und Handel investierte Kapital bewegte sich zunächst in bescheidenem Rahmen. In den 1780er Jahren betrug das Anlagekapital der grössten Betriebe wie jener von Jean-Louis Fazy in Genf oder Claude-Abram DuPasquier in Cortaillod (Fabrique-Neuve de Cortaillod) jedoch bereits mehrere Millionen Livres. Die stattlichen Gewinne aus Fabrikation und Handel führten zu einer ungeheuren Akkumulation von Kapital, das schliesslich auch in andere Wirtschaftszweige floss. In einer Volkswirtschaft, die noch auf Landwirtschaft, Handwerk und Heimarbeit beruhte, stellten die 8000 bis 10'000 in der Indienneindustrie beschäftigten Männer, Frauen und Kinder das erste Beispiel einer in den Fabriken konzentrierten Arbeiterschaft dar. In den grösseren Betrieben arbeiteten Ende des 18. Jahrhunderts 600-800 Personen. Die mobilen Arbeitskräfte trugen zu einer doppelten Bevölkerungsdurchmischung bei, indem viele Deutschschweizer in die Westschweiz zogen und Schweizer ins Ausland übersiedelten. Rund 1000 Schweizer waren zum Teil in leitender oder ausbildender Funktion in der französischen Indienneindustrie tätig.

Zeugdruckmuster, um 1800. Kolorierte Zeichnung (Musée militaire et des toiles peintes, Colombier; Fotografie Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann).
Zeugdruckmuster, um 1800. Kolorierte Zeichnung (Musée militaire et des toiles peintes, Colombier; Fotografie Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann).

Mit dem Zeugdruck wurde die Schweiz zu einem zentralen Warenumschlagplatz. Für Millionen von Livres führte das Land jährlich weisse Baumwollgewebe und Färbemittel aus Europa, Afrika, Amerika und Asien ein und exportierte rund 95% seiner Indiennes (Exportwirtschaft). In einer entscheidenden Phase der Industriellen Revolution trug der Zeugdruck somit dazu bei, die Schweizer Wirtschaft in der europäischen und der weltweiten Ökonomie zu etablieren.

Quellen und Literatur

Weblinks

Zitiervorschlag

Pierre Caspard: "Zeugdruck", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.04.2020, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013962/2020-04-01/, konsultiert am 17.04.2024.