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Tirol

Südostalpenregion, die im Osten der Schweiz an das bündnerische Unterengadin und Münstertal angrenzt. Das Gebiet nördlich des Brenners bildet das österreichische Bundesland Tirol, dasjenige südlich des Brenners und des Reschenpasses die autonome italienische Region Trentino-Südtirol. Im Mittelalter war Tirol stark mit dem churrätischen Kulturkreis verbunden. Romanische Orts- und Flurnamen sind heute noch im Vinschgau, in den Dolomiten und im Oberinntal (Landeck, Innsbruck) geläufig. In den Dolomitentälern ist das Romanische (ladinisch) noch lebendig. Vom Engadin aus bestanden seit jeher enge Beziehungen über die Ost-Westroute zum tirolischen Oberinntal und über den Ofenpass nach Süden zum Etschgebiet und in den Adriaraum.

Im Hochmittelalter übten die Bischöfe von Chur im Vinschgau nebst der Diözesangewalt auch Territorialrechte aus. Die mächtigsten Feudalherren daselbst, die Vögte von Matsch, standen vom 12. Jahrhundert an in Lehens- und Ministerialverpflichtung zum Bistum Chur. Die Grafen von Tirol erwarben im 13. Jahrhundert die Grafschaftsgewalt im unteren Etschland (Meran), im Eisack-, Puster-, Ober- und Unterinntal. Den Konflikt mit dem Bischof von Chur, der Tirol 1283 noch als ein Lehen des Bistums betrachtete, entschieden die Grafen von Tirol allmählich zu ihren Gunsten. Das Bistum Chur behauptete jedoch seine mannigfachen Hoheitsrechte über seine Gotteshausleute im oberen Vinschgau bis ins 17. Jahrhundert

Die Grafen von Tirol besassen ab dem 10. Jahrhundert Grafschaftsrechte im Unterengadin und ab dem 14. Jahrhundert Herrschaftsrechte in den bündnerischen Gerichten Davos, Klosters, Castels, Belfort, Lantsch, Churwalden, St. Peter und Langwies, welche die Habsburger ab den 1460er Jahren an sich zogen. 1478 bestätigte Erzherzog Sigismund von Habsburg den Gerichten alle Rechte und Freiheiten und garantierte ihnen die Zollfreiheit in Tirol. Die Leute dieser Gebiete waren einerseits freie Bündner bzw. Verbündete im Freistaat der Drei Bünde, andererseits aber österreichische Untertanen, da tirolische Regierungsbeamte dort bis ins 17. Jahrhundert die Justiz und Zivilverwaltung ausübten. Der Auskauf der Rechte erfolgte erst 1649-1652.

In der Blütezeit des bündnerischen Bergbaus im 15. und 16. Jahrhundert erschlossen tirolische, lombardische und venezianische Fachleute die Erzberge nach neuesten technischen Erkenntnissen. Tausende von Tirolern betätigten sich als Knappen im bündnerischen Bergbau. In tirolischem Auftrag verfasste der Davoser Christian Gadmer, der bekannteste Berg- und Blutrichter im Dienste Österreichs, 1588 einen Bericht über sämtliche Erzgruben und Bergwerke des Zehngerichtenbundes und der Herrschaften Rhäzüns und Jörgenberg.

ln den schweizerisch-tirolischen Beziehungen zur Zeit der Reformation und des Tiroler Bauernaufstandes tritt die interessante Gestalt des Michael Gaismair in Erscheinung. Dieser revolutionäre tirolische Bauernführer, Politiker, Diplomat und Denker floh Anfang 1526 nach Graubünden (Bad Fideris) und Zürich, wo er Huldrych Zwingli kennenlernte. Dort entwarf er die neue tirolische «Landesordnung», ein Konzept für eine christliche demokratische Bauernrepublik, das aber nie über die Projektphase hinaus gelangte.

Im 17. Jahrhundert blühte der Handel zwischen Tirol und Graubünden: Milchprodukte aus Davos und dem Oberengadin sowie Holz aus den Wäldern des Unterengadins wurden ins tirolische Inntal exportiert und umgekehrt Salz aus Hall importiert. Innsbruck war mehrfach Aufenthaltsort von Bündner Exilierten oder Deportierten, so um 1620 und 1799. Dort studierten seit der Gründung der Universität Bündner vorwiegend katholischer Konfession sowie zahlreiche weitere Schweizer, darunter rund 300 aus St. Gallen.

Im Krieg zwischen Frankreich und Österreich 1809 besetzte die Schweiz auf Geheiss Napoleons die Grenze gegen Tirol. Die Verteidigung des Grenzabschnitts Engadin-Puschlav gestaltete sich schwierig, weil viele Bündner Gemeinden mit den Aufständischen sympathisierten und sie begünstigten. Graubünden löste die Aufgabe flexibel, ohne die Grenze für Flüchtlinge und Konskribierte zu schliessen. Heute sind vielfach Tiroler als Saisonarbeitskräfte in der ostschweizerischen Wald- und Alpwirtschaft sowie im Tourismus beschäftigt.

Quellen und Literatur

  • G. Schreiber, Alpine Bergwerkskultur: Bergleute zwischen Graubünden und Tirol in den letzten vier Jahrhunderten, 1956
  • C. Padrutt, «Die Beziehungen zwischen Südtirol und Graubünden im MA», in Internat. Burgen-Institut, Bull. Nr. 16, 1962
  • F. Maissen, «Bündner Studenten an der Univ. Innsbruck», in BM 1977, 355-376
  • H. Reinalter, «Christl. Evangelium und Utopie. Michael Gaismairs Landesordnung aus sozial- und ideengeschichtl. Perspektive», in Der Schlern 56, 1982, 241-256
  • J. Fontana et al., Gesch. des Landes Tirol, 4 Bde., 1985-88
  • G. Pfaundler-Spat, Tirol-Lex., 22005
Weblinks
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Zitiervorschlag

Martin Bundi: "Tirol", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 29.10.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007131/2013-10-29/, konsultiert am 13.04.2024.