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Friedhöfe

Friedhöfe sind abgegrenzte, mit einer besonderen Aura umgebene Zonen, in denen die Lebenden ihre Toten bestatten (Bestattung); in deutschsprachigen Quellen sind Friedhöfe bis zum Ende des 19. Jahrhunderts häufiger unter der Bezeichnung Kirchhof zu finden. In der Spätantike und im Frühmittelalter wurden die Leichname hauptsächlich auf Gräberfeldern oder in Kirchen begraben, wie Funde in Sitten (Sous-les-Scex) und in Chur (St. Stephan) belegen. Seit karolingischer Zeit, als die Beisetzung ad sanctos, d.h. in der Nähe von Altären mit Reliquien, zur bevorzugten Bestattungsart wurde, gehören Kirchen und Friedhöfe eng zusammen. Von den Heiligen erwartete man Fürbitte beim Jüngsten Gericht. Im Gegensatz zu den antiken Friedhöfen, die ausserhalb der Städte lagen, mussten sich Kirche und Kirchhof nach spätmittelalterlicher Vorstellung in der Siedlung befinden. Kirche und Kirchhof, dessen Erde geweiht war, genossen Immunität, d.h. sie waren von der weltlichen Macht exemt. Die Verstorbenen wurden vor allem auf den Friedhöfen der Pfarrkirchen begraben; bezeugt sind aber auch bei ländlichen Filialkapellen gelegene, reguläre Kirchhöfe. Die Klöster hatten das Recht, neben ihren verstorbenen Ordensangehörigen Laien zu begraben; in der Regel verfügten auch Spitäler und Siechenhäuser über eigene Kirchhöfe.

Das zur Ausstattung der Friedhöfe gehörende Hochkreuz, das im Fuss Reliquien bergen konnte, verwies auf den christlichen Hoheitsbezirk. Während der Bestattungsort mit einem Zaun oder einer Mauer umfangen wurde, wehrte ein Bodengitter, crurifraga, Beinbrecher oder auch Gätteri genannt, den Zutritt von Tieren ab. Kalvarienberg- und Totentanzdarstellungen sowie die überlebensgrosse Christophorusfigur finden sich häufig auf Friedhöfen bzw. Friedhofs- und Kirchenmauern. Zu den spätmittelalterlichen Friedhöfen gehörten ferner Beinhäuser, Totenleuchten, Weihwasserbecken und Sammelkassen für Almosen. Die Kirchhöfe waren belebte Stätten. Hier wurde unter anderem Recht gesprochen, Markt gehalten, gespielt und getanzt. Die Obergeschosse der Beinhäuser dienten nicht selten als Kornschütten, während verstärkte Kirchhofmauern als militärische Stützpunkte fungierten (u.a. die Wehr- und Friedhofmauer von Muttenz). Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Friedhöfe wiesen eine ausgeprägte Sozialtopografie auf. Dies zeigen beispielsweise die Pläne des Kirchhofs von Schwyz, die eine grosse Anzahl nummerierter Geschlechtergräber aufführen, während die Anwohner ohne Grabrechte abseits liegen. Abgesonderte Grabstellen gab es ausserdem für Arme, Fremde, Henker, Selbstmörder und Hingerichtete.

Gräberhallen des Stiftes im Hof in Luzern. Aquarell von Johann Baptist Marzohl, um 1840 (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung).
Gräberhallen des Stiftes im Hof in Luzern. Aquarell von Johann Baptist Marzohl, um 1840 (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung).

Die Reformation veränderte den Totenkult radikal. Friedhöfe und zum Teil auch das Innere der Kirchen mussten von Grabzeichen und Grabschmuck geräumt werden. Zwar hatten die Reformatoren mit ihrer Forderung, Kirche und Totenacker voneinander zu trennen und ausserhalb der Siedlung neue Friedhöfe anzulegen, wenig Erfolg, doch die Verbreitung von Seuchen und Pest führte im 16. Jahrhundert vereinzelt zur Anlage von Friedhöfen ausserhalb der Wohngebiete. Die Aufklärung brachte in beiden konfessionellen Lagern grosse Veränderungen. Unter dem Einfluss der einschlägigen Reformen in Frankreich und in Österreich verlegten viele Schweizer Städte die Begräbnisplätze aus hygienischen Überlegungen vor die Stadttore. Ein bedeutender Markstein in der schweizerischen Friedhofskultur bildete die Neugestaltung des 1633 abgebrannten Gottesackers der Hofkirche in Luzern, welche die Begräbnisstätten der Oberschicht in eine Arkadenreihe integrierte. Seit dem 17. Jahrhundert gibt es wieder patrizische Grabmäler in reformierten Gebieten der Schweiz.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden unter englischem Einfluss die Friedhöfe auch in der Schweiz parkähnlich gestaltet, wobei Gartenarchitekten, Hygieniker und Städteplaner für die Konzeptionen zuständig waren. Beispiele dafür sind die Friedhöfe Kannenfeld und Wolf in Basel (1868 bzw. 1872), der Zentralfriedhof Sihlfeld in Zürich (1877) und Bois-de-Vaux in Lausanne (1919). Nach dem Vorbild des Münchners Hans Grässel entstanden in Schaffhausen (1914) und in Davos (1918) Waldfriedhöfe, ein Konzept allerdings, das der traditionellen Auffassung von der Gemeinschaft der Lebenden und Toten widersprach. Grässel versuchte dies mit einem Rückgriff auf die frühmittelalterlich-christliche Symbolsprache und mit Anlehnungen an den deutschen Heimatstil zu kompensieren. Die strenge Friedhofsordnung mit geometrischen Grabfeldern, wie sie sich nach dem Ersten Weltkrieg durchsetzte, wird seit den 1980er Jahren zunehmend gelockert. Gleichzeitig wird seither der architektonische, gartenhistorische, künstlerische und sozialgeschichtliche Wert der Friedhofsanlagen des 19. und 20. Jahrhunderts erkannt. Aus diesem Grund hat auch in der Schweiz eine Inventarisation von Friedhofsanlagen eingesetzt, was schliesslich zur Erarbeitung denkmalpflegerischer Schutzkonzepte geführt hat.

In jüngster Zeit hat sich einerseits der Trend zur halbanonymen Bestattung in Gemeinschaftsgräbern verstärkt. Andererseits wird bei Trauerritualen, Grabschmuck und Grabgestaltung vermehrt Wert auf Individualität gelegt. Die multikulturelle Gesellschaft verlangt eine Revision des aus der Zeit des Kulturkampfes stammenden Friedhofs- und Bestattungsrechts. So werden gegenwärtig in Bern und anderen grösseren Schweizer Städten nach Mekka ausgerichtete Grabfelder für verstorbene Moslems eingeführt. Das schweizerische Recht, das für die Totenasche keinen Friedhofszwang vorschreibt, bietet Hand für private Urnenfriedhöfe (Kremation).

Beerdigung auf dem Friedhof von Kippel (Lötschental), neben der Pfarrkirche. Fotografie von Albert Nyfeler, 1937 (Mediathek Wallis, Martigny).
Beerdigung auf dem Friedhof von Kippel (Lötschental), neben der Pfarrkirche. Fotografie von Albert Nyfeler, 1937 (Mediathek Wallis, Martigny).

Naturnahe Friedhofsanlagen erfreuen sich einer immer grösseren Beliebtheit. Bereits unter Patentschutz steht das sogenannte Friedwaldprojekt von Mammern. Die Asche wird dem Wurzelwerk von Waldbäumen beigegeben und so wieder dem natürlichen Stoffkreislauf zugeführt. Auf solchen Privatfriedhöfen können individuelle Wünsche berücksichtigt werden, die auf öffentlichen Friedhöfen einem Tabu unterliegen wie zum Beispiel die Mitbestattung von Haustieren. Ausgehend von den USA und Kanada sind in den letzten zehn Jahren auf dem Internet virtuelle und damit global verfügbare Gedenkräume und Friedhöfe entstanden.

Quellen und Literatur

  • B. Happe, Die Entwicklung der dt. Friedhöfe von der Reformation bis 1870, 1991
  • M. Illi, Wohin die Toten gingen, 1992
  • A. Hauser, Tod, Begräbnis und Friedhöfe in der Schweiz 1700-1990, 1994
  • G. Descœudres et al., Sterben in Schwyz, 1995
  • Last minute, 1999
  • G. Brandys, Nécrobiopolis, Liz. Neuenburg, 1999
  • S. Burkhalter, La question du cimetière musulman en Suisse, 1999
  • Kultur des Erinnerns, hg. von C. Krüger, 2001
Weblinks

Zitiervorschlag

Martin Illi: "Friedhöfe", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.11.2005. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007864/2005-11-07/, konsultiert am 17.04.2024.